1905
26. März: Viktor Emil Frankl wird als zweites von 3 Kindern in Wien geboren. Die Mutter stammt aus Prag, der Vater - Direktor im Ministerium für soziale Verwaltung - aus Südmähren.
Viktor Emil Frankl
Während des 1. Weltkriegs geht es der Familie schlecht, die Kinder betteln auf Bauernhöfen um Brot.
In der Gymnasialzeit beschäftigt sich Frankl mit den Naturphilosophen und besucht Volkshochschul-Kurse über Angewandte Psychologie. Er beginnt eine Korrespondenz mit Sigmund Freud. Ein Manuskript, das er an Freud sendet, wird in der Internationalen Zeitschrift für Psychoanalyse veröffentlicht.
Mit 15 Jahren hält Frankl seinen ersten öffentlichen Vortrag, Über den Sinn des Lebens. Aus einem starken Gefühl für soziale Gerechtigkeit heraus wird er Funktionär der Sozialistischen Arbeiterjugend.
Sein Aufsatz: "Psychotherapie und Weltanschauung" wird in der "Internationalen Zeitschrift für Individualpsychologie" publiziert. Er bemüht sich um die Aufhellung des Grenzgebietes zwischen Psychotherapie und Philosophie unter besonderer Berücksichtigung der Sinn- und Wertproblematik, was zum lebenslangen Leitmotiv seiner Arbeit wird.
Frankl hält öffentliche Vorträge auf Kongressen in Düsseldorf, Frankfurt, Berlin. Er legt zum ersten Mal die Idee eines sinnzentrierten Ansatzes für die Psychotherapie vor und verwendet dafür den Begriff Logotherapie, basierend auf dem griechischen Wort logos für Sinn.
Sein Verhältnis zu Alfred Adler spitzt sich zu. Er kritisiert wesentliche Lehrsätze der Individualpsychologie, doch seine Verbesserungsvorschläge werden von Adler abgelehnt. Bald darauf folgt sein Ausschluß aus dem Adler-Verein. Adlers Tochter Alexandra (Foto), Rudolf Dreikurs und andere bedeutende Individualpsychologen bleiben ihm aber lebenslang freundschaftlich verbunden.
Er organisiert eine Sonderaktion zur Zeit der Zeugnisverteilung, woraufhin in Wien
die Zahl der Schülerselbstmorde signifikant abnimmt. Das Ausland wird auf
ihn aufmerksam: Wilhelm Reich lädt ihn nach Berlin ein, die Universitäten von Prag und Budapest
ersuchen ihn um Vorträge.
Frankl engagiert sich intensiv in den Wiener Volkshochschulen.
Er präsentiert den allerersten Kurs über Psychische Hygiene, und zwischen
1928 und 1938 hält er nicht weniger als 30 Vorträge, meist über
seelische Probleme, vor allem bei jungen Menschen.
Frankl eröffnet eine Ordination als Facharzt für Neurologie und Psychiatrie. Nur wenige
Monate später wird Österreich in das Deutsche Reich annektiert, und er muss seine
Praxis infolge der Einschränkungen für jüdische Ärzte wieder schließen.
In seinem Artikel Seelenärztliche Selbstbestimmung wendet er sich dagegen, dass
Ärzte ihre Autorität dazu missbrauchen, ihren Patienten die eigene Weltanschauung
- insbesondere die grassierende deutschnationale Ideologie - aufzuzwingen.
Frankl unterhielt enge Beziehungen zur österreichischen zionistischen Bewegung und hielt
gelegentlich Vorträge bei deren Versammlungen. In der Zeit vor dem "Anschluss" - der
gewaltsamen Annexion Österreichs durch Nazi-Deutschland - lag eine spürbare Atmosphäre
der Besorgnis und Verzweiflung in der Luft. Ein anschauliches Beispiel dafür ist die
Einladung der zionistischen Bewegung an Viktor Frankl zu zwei Vorträgen über
"Seelische Probleme der jüdischen Jugend". Die Ankündigung des zweiten Vortrags wurde
am 11. März veröffentlicht, nur einen Tag vor dem Einmarsch der Hitler-Truppen.
In der berüchtigten "Kristallnacht" kommen hunderte Juden zu Tode, und viele Synagogen werden zerstört - unter ihnen der prächtige "Leopoldstädter Tempel" nahe der Franklschen Wohnung.
Frankls Aufsatz Philosophie und Psychotherapie erscheint in einer Schweizer medizinischen Zeitschrift. Darin führt er den Ausdruck "Existenzanalyse" für das philosophische Fundament der Logotherapie ein.
Im September werden Viktor und Tilly verhaftet und zusammen mit Frankls Eltern nach Theresienstadt deportiert. Seine Schwester Stella ist kurz zuvor nach Australien geflüchtet, sein Bruder Walter und dessen Frau versuchen über Italien zu entkommen. Nach einem halben Jahr in Theresienstadt stirbt sein Vater an Erschöpfung.
Im Ghetto Theresienstadt kümmert sich Frankl um die psychologische Betreuung der Internierten. Er organisiert eine Einsatzgruppe, die sich der meist unter Schock stehenden Neuankömmlinge annimmt. In seinen Bemühungen, die Gefahr von Selbstmorden abzuwenden, wird er von Regina Jonas, der weltweit ersten Rabbinerin, unterstützt.
Viktor, Tilly und knapp danach seine 65-jährige Mutter werden in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Die Mutter wird sofort in der Gaskammer ermordet, Tilly nach Bergen-Belsen gebracht. Frankl wird nach einigen Tagen zum Weitertransport in ein Arbeitslager selektiert. Er kommt nach Kaufering und später Türkheim, beides Nebenlager von Dachau.
Am 27. April wird er von US-Truppen befreit. Er wird als Chefarzt in ein Militärspital für Displaced Persons rekrutiert. Um endlich etwas über das Schicksal seiner Frau zu erfahren, schlägt er sich nach Wien durch. Innerhalb weniger Tage erfährt er vom Tod seiner Frau, seiner Mutter und seines Bruders, der gemeinsam mit seiner Frau in Auschwitz ermordet wurde.
In seiner Verzweiflung findet Frankl Halt bei seinen Freunden, allen voran seinem alten Studienfreund Paul Polak. Er ist nun entschlossen, wenigstens sein Buch fertigzustellen und zu veröffentlichen. Sein Jugendfreund Bruno Pittermann, der inzwischen Mitglied der neuen Regierung geworden ist, verschafft ihm einen Arbeitsplatz und eine Wohnung - und eine Schreibmaschine.
Frankl wird Vorstand der Wiener Neurologischen Poliklinik. Die rekonstruierte Ärztliche Seelsorge, erweitert durch ein Kapitel über die "Psychologie des Konzentrationslagers", ist eines der ersten Bücher, die nach dem Krieg in Wien veröffentlicht werden. Die erste Auflage ist nach wenigen Tagen ausverkauft.
Frankl erhält sein philosophisches Doktorat mit einer Dissertation über das Thema "Der unbewusste Gott". Er wird Dozent für Neurologie und Psychiatrie an der Universität Wien.
Der Innsbrucker Psychiater Wilhelm Soucek bezeichnet Frankls Logotherapie und Existenzanalyse
als "Dritte Wiener Schule der Psychotherapie", nach Sigmund Freuds Psychoanalyse und Alfred
Adlers Individualpsychologie.
Er schreibt das Buch Homo patiens, in dem er ausführlich darlegt, wie man
Menschen im Leiden Hilfe, Halt und Trost geben kann.
Auf den "Salzburger Hochschulwochen" stellt Frankl seine "Zehn Thesen zur Person"
vor, eine der philosophischen Grundlagen der Logotherapie.
Der erste Weltkongress für Logotherapie findet in San Diego statt.
In Wien wird die "Gesellschaft für Logotherapie und Existenzanalyse" (GLE) gegründet, von der sich Frankl wenige Jahre später wegen unüberbrückbarer Auffassungsunterschiede in Menschenbild und Sinnbegriff distanziert.